Seriell, nicht seriös

Seriell, nicht seriös

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Benjamin Weidekamp ist wieder da. Der kreative Kopf von Olaf Ton und Stereo Lisa meldet sich mit seinem 2010 in Berlin gegründeten Quartett und einer neuen CD zurück. »seriell, nicht seriös« - Mikrotonaler-Entertainment-Groove-Jazz auf der Basis von Spektralanalyse und dem Morsealphabet. »seriell, nicht seriös« bezieht sich auf die Kompositionsmethode, die Weidekamp auf der Basis von Kompositionstechniken der Neuen Musik eigens für diese Quartett Musik entwickelt hat. Weidekamp setzt die Einflüsse aus der Neuen Musik mit beeindruckender Strenge und Konsequenz um. Der Rhythmus der Kompositionen beispielsweise, basiert komplett auf den Namen der Bandmitglieder bzw. deren Übersetzung ins Morsealphabet. „Grundsätzlich verstehe ich die Methode, mit dem Morsecode zu operieren, als Strategie und\u002F oder eine Art Spielregel, die ich mir selbst auferlege“ sagt Weidekamp. „Beim Komponieren selber geht es dann darum, diese Spielregeln zu variieren, zu dehnen, auszureizen, umzustellen, in Frage zu stellen, neu zu erfinden oder zu mogeln, um ein befriedigendes bzw. das gewünschte Klangergebnis zu erreichen.“ Offensichtlich haben Weidekamp und seine Kollegen schon so einiges von Hip-Hop-Künstlern wie Kanye West, Jay Z und Missy Elliott gehört - sie scheinen ein paar Dinge von Beats zu verstehen und so bringt die Band die alten Signal-Chiffren gewaltig zum grooven. Harmonisch beschäftigt sich Weidekamp mit verschiedenen mikrotonalen Herangehensweisen, wohlgemerkt nicht als kolorierende Ausnahme von der wohltemperierten Regel – sondern als selbständigen mikrotonalen Klangkosmos. Schon der Opener »Nomen est Omen« zeigt Weidekamps souveränen Umgang mit den strikten Methoden: nicht nur die Rhythmen, auch die Harmonien entwickelt er aus den Namen der Bandmitglieder, indem er auf die Buchstaben zugreift, die gleichzeitig Tonnamen sind. Auf das gewonnene Tonmaterial wendet er die auf Alois Haba zurückzuführende Split-Chord-Technik an, bei der Intervalle im wohltemperierten System unter zu Hilfenahme von Vierteltönigkeit in der Mitte geteilt werden. Auch die Intervalle einer Schönberg´schen Zwölftonreihe hat Weidekamp bei »Allegro Assai« derart mikrotonal geteilt. „Die Grundidee war, eine schier nicht enden wollende, sich ständig windende Linie zu schreiben, die sich scheinbar an der Grenze des Spielbaren bewegt und die durch ihre Virtuosität und den physischen Aufwand des Spielers einen hypnotischen Sog ausübt.“ Im Mittelpunkt des kompakten Ensembleklangs steht das Schlagzeug, gespielt von Weidekamps langjährigem Weggefährten Christian Marien, dessen Klänge mit Hilfe von Spektralanalysen die harmonische Grundlage für die Kompositionen »seriell, nicht seriös« und »Wu-Han« ergeben: die aus der Analyse gewonnen Frequenzzahlen werden behutsam zum nächstliegenden Viertelton auf- bzw. abgerundet. Der Name »Wu-Han« bezieht sich auf zwei China-Becken, aus denen Weidekamp das Material zur Komposition gewann. „Das Stück Wu-Han ist einerseits durch asiatische Kunst inspiriert - dabei denke ich an Gamelan Musik und moderne Kung-Fu Filme wie Hero oder Tiger & Dragon, deren Dramaturgie und Poesie hier ein Vorbild waren - andererseits durch die kompakten Studioaufnahmen der BeBop-Ära: ein Thema mit hoher Ereignisdichte, Improvisation über die harmonische Grundlage des Materials und schließlich verkürztem Schlussthema.“ Den Titel »ausgerechnet Latin« nahm Benjamin Weidekamp als Aufforderung, sowohl die Rhythmus-Basis (die Clave ergibt sich aus dem Morsecode der Schlagzeuger-Initialen) und das harmonische Material (die Akkorde und Melodietöne sind aus den Namen „Graupe\u002FBenjamin“, der Rhythmus der Melodie aus „Ronny\u002FWeidekamp“ abgeleitet) buchstäblich auszurechnen. Der Umgang mit Mikrotonalität ist für Weidekamp mittlerweile selbstverständlich. „Mikrotonalität ist ja nicht gleich zu verstehen mit ‚schräg’ bzw. ‚Töne liegen möglichst nah beieinander’ “ sagt Weidekamp. „Wenn ich einen Klang nehme, den ich als angenehm empfinde und den auf Instrumente verteile, dann klingt er ja schön! Und die Welt, die uns umgibt, ist eben mikrotonal. So ein Vogel: der zwitschert, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Der weiß ja nichts von wohltemperierter Stimmung“. So passiert es ihm immer wieder, erzählt Weidekamp, dass nach einem Konzert Zuhörer fragen „Und was war jetzt daran mikrotonal?“ Die Antwort ist einfach: Alles! Die Skordatur der 7-saitigen Gitarre von Ronny Graupe (je nachdem sind zwei bis drei Saiten um einen Viertelton gegen die restlichen „verstimmt“), genauso wie das in 1\u002F8-Töne quantifizierte Klangspektrum von »Klangschale«. Da stellt sich die Frage, wie gehen vier Musiker, die aus dem Jazz kommen, mit dieser starken Begrenzung der Stilmittel, über die Weidekamp auch noch ein Buch schreibt, am Ende frei in den Improvisationsteilen um? Das Quartett improvisiert im Kollektiv Durchführungen zu den Kompositionen. Dabei werden die einzelnen Improvisationen voll ausgespielt und werden zu einem eigenständigen Teil, der nie seinen Bezug zum Stück verliert. Es gibt keine Solisten. Die Rollenverteilung löst sich zugunsten der gemeinsamen Arbeit an der Musik und am Klang auf. Im Vordergrund steht der Ensembleklang, ein Blending zwischen allen Instrumenten, in dem die einzelnen Instrumente zu einem Klang verschmelzen und nicht mehr oder kaum voneinander zu unterscheiden sind. Das Ergebnis groovt mächtig und nimmt den Hörer mit auf eine anspruchsvolle Entdeckungsreise. Und wer die Musik von Weidekamp kennt, der weiß, dass das nicht ohne Humor von statten geht. Wie im Titelsong, wo der angeknackste Thaigong des Schlagzeugers spektral-analysiert, rückwärts abgespielt und in 30-facher Zeitlupe die harmonische Grundlage dazu liefert, dass jeder seinen Namen 16-mal morsen kann. »seriell, nicht seriös« eben.