Kurt Weill und Jazz? Das ist, als würde Schuberts 'Unvollendete' von Frank Zappa vollendet: sagen die Anhänger eines puristischen Kunstverständnisses. “Kurt Weill ist Jazz!“ das sagt Jürgen Sturm, Gitarrist, Komponist und Arrangeur, der mit seiner Combo und der Sängerin Anirahtak ein eigenwilliges Weill Programm entwickelt hat. 1989 entdeckte Jürgen Sturm die 'Jazztauglichkeit' der Weill'schen Musik. Schon die Nazis; wie der Kunstideologe W. Trienes, hatten der Weill-Musik bescheinigt, daß ihr hervorstechendstes Merkmal 'der Jazzrhythmus' sei. Mit dem Ziel allerdings, sie als 'entartet' zu brandmarken. Jürgen Sturm, der schon in den Jahren zuvor mit seinen BALLSTARS den Geist der Weill-Ära zumindest gestreift hat, arrangierte einige der populären Kurt Weill-Songs „laut, frech und unkonventionell“ (Göttinger Nachrichten - 25.11.91) und spielte damit im September 1989 die NABEL-CD 'Das Kurt Weill Programm' ein. Als Antwort auf den Erfolg der ersten CD erhielt die Band in den folgenden Jahren ungezählte Angebote für Konzertauftritte. Die seit Beginn mit Sturm, Singer, Galle-M., Rahier und Anirahtak gleichbleibende Besetzung der Band erwies sich als unschätzbarer Vorteil: Abend für Abend konnte die sensibel aufeinander reagierende Combo experimentieren und die eingespielten Vorgaben immer wieder improvisatorisch überbieten. Das Repertoire wurde um neue, von Jürgen Sturm mit oft so überraschender Raffinesse arrangierte Weill-Songs erweitert. Diese Entwicklung schrie förmlich nach einer neuen LP\u002FCD. Während sich die erste Produktion auf Stücke aus der Zeit konzentrierte, in der sich Kurt Weill mehr oder weniger friedvoll in Deutschland aufhielt, werden jetzt Songs einbezogen, die er im Exil in Paris und in seiner späteren Heimatstadt New York komponiert hat. Die neue CD trägt zugleich ausgeprägtere Züge von Abstraktion und Improvisation. Die langjährige Beschäftigung und Auseinandersetzung der Sturm-Gruppe mit dem Material ist jedem Song dieser CD anzumerken. Weills Esprit und seine Handschrift sind zwar überall präsent, zugleich aber hat man das Gefühl, daß die Band und ganz besonders ihre Sängerin Weills Musik mit traumwandlerischer Selbstsicherheit vereinnahmt und zu ihrem 'eigenen Ding' gemacht haben. Mehr denn je gilt Jürgen Sturms Statement von 1989: „Wir nehmen Weills Musik, wie sie damals war, und füttern sie mit heutigen Unterhaltungselementen.“ Es ist sein Markenzeichen, die Weill-Musik mit Trivial-Schnipseln, Pop-Ohrwürmern, Jazz-Riffs und allerlei exotischem Beiwerk zu verschmelzen. Die Assoziationsketten sind offen: DENN WOVON LEBT DER MENSCH: Agitprop - nackte Füße im Schlamm - keine Stiefel - süffisant an der Bar. Matrosen tango: Meerblauäugigkeit auf der Kölner Hohen Straße zur Weihnachtszeit - kaufen, kaufen, kaufen! ALABAMA SONG: Wir spielen Beides: Country & Western, aber auch Golf (-Krieg) - Der Club Mediterranée wird neu gegründet. Youkali: Asyl - Exil -Emigration - Sehnsucht. COMPLAINTE DE LA SEINE: Paris vom Grund der Seine aus betrachtet. SPEAK LOW: Liebeslied - die Band erreicht maximale Ruhe. SEPTEMBER SONG: Der Broadway im Herbststurm - jenseits landläufiger Melancholie. WIE LANGE NOCH? Wie lange was? Liebe? Krieg? Musik? MY SHIP: Aufwiedersehen. Der Kellner spült die Gläser und hat die Stühle auf die Tische gestellt. Reniar Emolb, 1992